In diesem Beitrag zeige ich Ihnen
- wieso Sie diese 2 grundlegenden Arten von Rechtsfragen bei der Fallbearbeitung unterscheiden müssen: die allgemeinen Rechtsfragen und die konkreten Rechtsfragen!
- was sich hinter der 4-W-Frage für eine gute Merkhilfe verbirgt!
Die Herausforderungen
Zu jedem Sachverhalt gehören auch Fragestellungen, die allerdings je nach den Umständen unterschiedlich umfangreich sein können.
Man muss hier 2 Arten von Rechtsftragen unterscheiden:
Die Herausforderung 1 der allgemeinen Rechtsfragen
In Praxis-Fällen stellt sich zumeist nur eine allgemeine Rechtsfrage:
Beispiele
- Wer hat Recht?
- Wie ist die Rechtslage?
- Was gilt nun?
Das Problem dieser allgemein gefassten Fragen ist, dass man nicht genau weiß, wie man nun weiter strittige Rechtsprobleme prüfen soll!
Deshalb ist es erforderlich, dass man aus allgemeinen Fallfragen ganz konkrete Fallfragen macht:
Die Herausforderung 2 der konkreten Rechtsfragen
Am besten für Sie ist es, wenn Sie ganz genau wissen, was man von Ihnen gelöst haben möchte, wie die Beispiele zeigen:
Beispiele
- Kann der LKW-Fahrer vom Fahrradfahrer F die Angabe von dessen Personalien noch am Unfallort verlangen?
- Ist die A-GmbH Eigentümerin des LKW und somit berechtigt, den Schaden geltend zu machen?
- Wieviel Schadensersatz muss der Fahrradfahrer F der A-GmbH bezahlen?
Sollte der von Ihnen zu lösende Sachverhalt zu einer Prüfung gehören, dürfen Sie nur die konkret gestellten Fragen beantworten. Alles was darüber hinaus geht ist nicht gefragt und bringt keine Pluspunkte. Im Gegenteil: Sie verlieren Prüfungszeit und damit Zeit für die Beantwortung der wirklich gefragten Inhalte.
Die Herausforderung 3 der Konkretisierung von allgemeinen Rechtsfragen
In der Praxis sieht das anders aus. Dort zeichnen Sie sich als gute Fall-Bearbeiter dadurch aus, dass Sie herausfinden, welche konkreten Fragestellungen sich in einem Fall ergeben.
Die Tipps
Damit Sie dieses in Zukunft ganz leicht meistern, schauen Sie sich die folgendenTipps an:
Tipp 1: Liegt eine allgemeine Fallfrage vor, die noch mit der sog. 4-W-Frage konkretisiert werden muss?
Man versetzt sich in die Beteiligtenrolle hinein und stellt die sog. 4-W-Frage: Wer will von wem was woraus?
Die Problematik von juristischen Sachverhalten ist, dass man manchmal gar nicht weiß, was eigentlich gefragt wird.
Deshalb hat die Rechtslehre methodisch die 4-W-Frage entwickelt:
- Wer will überhaupt was?
- Von wem will man was?
- Was will man denn überhaupt?
- Woraus kann man den Anspruch ableiten?
Die 4-W-Frage wird methodisch bereits seit vielen Generationen mit den Studierenden
- zur Konkretisierung allgemein gehaltener Fragen (Wie ist die Rechtslage?) und
- bei Streitigkeiten zwischen mehreren Personen eingeübt.
- Sie dient der Aufstellung des „Programmsatzes“, den man dann abzuarbeiten
Außerdem kann man damit auch bestimmte Prüfungsrichtungen ausscheiden, wenn einfach dazu nichts im Sachverhalt steht, z.B. Prüfungsüberlegungen gegenüber bestimmten Personen, etwa gegenüber Eltern eines schadensverursachenden Minderjährigen.
Ganz praktisch gesehen versetzt man sich also in die Beteiligten hinein und fragt:
Die 4-W-Frage
Sog. 4-W-Frage | ||||||||||||||||
1.Teil: WER? | will von | 2. Teil: WEM? | 3. Teil: WAS? | 4. Teil: WORAUS? | ||||||||||||
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Anspruchsteller ist welche Person? | Anspruchsgegner ist welche Person? | Anspruchsinhalt ist welche Forderung / welcher Gegenstand? | Anspruchsgrundlage ist welche Rechtsgrundlage / Vorschrift? | |||||||||||||
Tipp 2: Wurden die im Sachverhalt genannten, konkreten Fallfragen abgearbeitet?
Wird im Sachverhalt gleich eine bestimmte Frage gefunden, ist nur diese zunächst zu bearbeiten.
Tipp 3: Hat man bei mehreren Sachverhaltsteilen nach den einzelnen Sachverhalten aufgegliedert?
Schauen Sie sich den Sachverhalt an und klären Sie, ob es deutlich voneinander zu trennende Teile mit möglicherweise unterschiedlichen Fragestellungen gibt, die
- zeitlich auseinanderliegen
- räumlich getrennt sind
- oder durch sonstige unterschiedliche Aspekte verschiedene konkrete Fragen aufwerfen.
Tipp 4: Wurde bei mehreren Personen die Prüfung der Vorschriften in Zwei-Personen-Verhältnissen durchgeführt?
Wichtig ist, dass Sie möglichst immer Fragestellungen zwischen 2 Personen aufstellen, denn in diesem Zwei-Personen-Verhältnis bringen diese 2 Personen schon genügend eigene Rechtsprobleme mit.
Falsch wäre es, Personen mit unterschiedlichen Sachverhaltsangaben und rechtlich relevanten Angaben, wie z.B. fehlende Geschäftsfähigkeit, verschiedene Eigentumsverhältnisse, in der gleichen Fragestellung zu überprüfen. Hier hat man dann diese Personen getrennt zu analysieren.
Tipp 5: Hat man bei mehreren Anspruchsbegehren nach den unterschiedlichen Anspruchszielen, z.B. Vertragserfüllung, Herausgabe, Schadensersatz etc. aufgegliedert?
Damit die einzelnen Rechtsprobleme nicht zu sehr durcheinander geprüft werden, ist es sehr wichtig, diese nach den Zielen des Anspruchsstellers zu trennen, z.B.
- Klage auf Vertragserfüllung
- Klage auf Herausgabe der übergebenen Sache
- Klage auf Zahlung eines Schadensersatzes
Tipp 6: Wird nach den Erfolgsaussichten einer Klage oder eines behördlichen Verfahrens gefragt, sind Zulässigkeit und Begründetheit zu unterscheiden!?
Sollte in Ihrem Fall auch das Verfahren der Geltendmachung eines Anspruchs etwa auf Zahlung geprüft werden müssen, müssen Sie trennen:
- Zulässigkeit der Geltendmachung, d.h. die Formalitäten z.B. der Klageerhebung und die Frage nach dem zuständigen Gericht
- Begründetheit des Anspruchs, d.h. ob es z.B. den Zahlungsanspruch aus dem Vertrag überhaupt aus rechtlichen Gründen gibt.
Ihre Aktion (Call to action)
Nun sind Sie dran!
Wenden Sie die 6 Tipps auf den folgenden Sachverhalt an!
- Tipp 1: Liegt eine allgemeine Fallfrage vor, die noch mit der sog. 4-W-Frage konkretisiert werden muss?
- Tipp 2: Wie sehen konkrete Fragestellungen aus?
- Tipp 3: Kann man bei mehreren Sachverhaltsteilen nach den einzelnen Sachverhalten aufgegliedern?
- Tipp 4: Kann man bei mehreren Personen die Prüfung der Vorschriften in Zwei-Personen-Verhältnissen durchgeführt?
- Tipp 5: Kann man bei mehreren Anspruchsbegehren nach den unterschiedlichen Anspruchszielen, z.B. Vertragserfüllung, Herausgabe, Schadensersatz etc. aufgliedern?
- Tipp 6: Wird nach den Erfolgsaussichten einer Klage oder eines behördlichen Verfahrens gefragt, so dass Zulässigkeit und Begründetheit zu unterscheiden sind!?
Beispiel: Unfall auf der Landstraße
Der 15-jährige Fahrradfahrer Fritz (F) schneidet auf einer unübersichtlichen Landstraße die Kurve. Der entgegenkommende LKW-Fahrer Albert (A) der Spedition A-GmbH, der ebenfalls nicht allzu weit rechts fährt, wird zu einem Ausweichmanöver gezwungen und erleidet an seinem gerade neu gekauften LKW insgesamt 4.000 € Sachschaden einschließlich entgangenen Gewinns, da der LKW für 1 Woche nicht im Frachtgeschäft eingesetzt werden konnte. F unterschreibt spontan auf dem vom Angestellten A am Unfallort ausgehändigten Unfallbericht eine Erklärung er „erkenne die Schuld an“ und „seine Versicherung werde den Schaden sofort ausgleichen“. Als Zahlungsfrist vereinbart man „2 Wochen“. Später nimmt die Polizei den Unfallhergang auf. Nach Einholung von Rechtsrat weigert sich F in der Folgezeit, der A-GmbH den gesamten Schaden zu bezahlen.
Fragen:
- Was sagt das Recht zu diesem Fall?
- Kann die A-GmbH von F 4.000 Euro Schadensersatz wegen des Unfalls verlangen?
Machen Sie bitte eine kurze Pause von 10 Minuten und setzen Sie die gezeigten Dinge für sich selbst um – die Lösung gibt es dann gleich im Anschluss!
Lösungsansatz
Tipp 1: Liegt eine allgemeine Fallfrage vor, die noch mit der sog. 4-W-Frage konkretisiert werden muss?
- Die Frage, was das Recht zu diesem Fall sagt, wäre eine allgemeine Frage.
Tipp 2: Wie sehen konkrete Fragestellungen aus?
- Diese wurde durch die 4-W-Frage in eine konkrete Frage im Verhältnis A-GmbH und F umgewandelt.
- Geschädigte A-GmbH will vom Schädiger F Schadensersatz aufgrund von zwei Anspruchsgrundlagen:
- Erfüllung des unterschriebenen Vertrags (Anspruchsgrundlage 1: Schuldanerkenntnis, § 781 BGB) und
- Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung (Anspruchsgrundlage 2: § 823 BGB).
- Beide Anspruchsgrundlagen werden dann getrennt geprüft.
Tipp 3: Kann man bei mehreren Sachverhaltsteilen nach den einzelnen Sachverhalten aufgegliedern?
- Es sind nur Angaben zum Unfallhergang problematisch.
- Wenn im Sachverhalt noch Rechtsprobleme aus der Zeit vor dem Unfall oder nach dem Unfall B. bei Streitigkeiten mit der reparierenden Werkstatt angegeben wären, müssten dort eigene Fragestellungen geprüft werden.
Tipp 4: Kann man bei mehreren Personen die Prüfung der Vorschriften in Zwei-Personen-Verhältnissen durchgeführt?
- Im Vordergrund stehen die direkt geschädigte A-GmbH und der unmittelbar handelnde Schädiger F.
- Darüber hinaus könnten nur bei näheren Angaben zu Rechtsproblemen z.B. Zwei-Personen-Verhältnisse wie folgende auftreten: Lkw-Fahrer –> F wegen Schockschaden, A-GmbH –> Fahrer A, wegen Verkehrsverstoß
Tipp 5: Kann man bei mehreren Anspruchsbegehren nach den unterschiedlichen Anspruchszielen, z.B. Vertragserfüllung, Herausgabe, Schadensersatz etc. aufgliedern?
- Im Fall sollte in der Lösung in einem Teil zunächst die Frage geklärt werden, die sich um die Erfüllung eines Vertrages ranken: das Schuldanerkenntnis im Unfallbericht könnte man als Vertrag sehen, mit dem sich der Fahrradfahrer zur Zahlung verpflichtet.
- Darüber hinaus kann es in einem Teil um die Fragen gehen zu der Schadensersatzahlungspflicht aus unerlaubter Handlung gehen, da der Fahrradfahrer F mit dem Kurve schneiden rechtswidrig sich verhalten hat.
- Da keine weiteren Angaben im Sachverhalt zu Anspruchsziele wie etwa der Herausgabe von Sachen vorliegen, muss kein weiterer Frageteil unterschieden werden.
Tipp 6: Wird nach den Erfolgsaussichten einer Klage oder eines behördlichen Verfahrens gefragt, so dass Zulässigkeit und Begründetheit zu unterscheiden sind!?
- Da keine Angaben zum Verfahren gemacht werden, reicht es aus, nur die Fragen und Voraussetzungen über das Bestehen des Geldanspruchs zu klären: Begründetheit des Anspruchs.
- Einen Teil zu Zulässigkeitsfragen, z.B. zuständiges Gericht kann nicht so leicht beantwortet werden, da dazu nichts im Sachverhalt steht.
Ergebnis
Jetzt können Sie bei juristischen Fällen
- die allgemeinen Fragen erkennen und
- durch die 4-W-Frage in konkrete Fragen umformulieren,
- und werden Rechtsfragen in bestimmten Teilen strukturiertB. nach Anspruchszielen getrennt nachgehen.
Eine Bitte zum Schluss
Haben Sie auch Ihre eigenen Lösungen verglichen? Der Blog ist am Entstehen und wartet auf meinen und Ihren Input. Falls Sie Anregungen zu den Inhalten haben, bitte gleich in den Kommentar reinschreiben! Alles wird beim Erstellen der Blogbeiträge berücksichtigt!
Bis bald, freue mich auf Sie!
Ihr Online-Professor Thorsten S. Richter
PS: Alle Inhalte wurden sorgfältig recherchiert und juristisch geprüft. Trotzdem kann es vorkommen, dass die Inhalte aufgrund der im konkreten Fall gegebenen Besonderheiten nicht passen. Um das auszuschließen bitte ich Sie, vor der Anwendung der hier erläuterten Inhalte diese zu überprüfen und bei Zweifeln u.a. unsere juristischen Partner zu kontaktieren.