In diesem Beitrag zeige ich Ihnen, warum Sie Ihre ersten spontanen Gedanken auf einen Merkzettel aufschreiben und später Ihr Ergebnis mit diesem ersten Eindruck auf Übereinstimmung kontrollieren sollten!
Die 3 Herausforderungen
Die Herausforderung 1 Den ersten Eindruck festhalten und nicht sich im juristischen „Dschungel“ verlieren
Der 1. Eindruck zählt immer!
Aus den ersten „Gedankenfetzen“ beim Lesen eines Sachverhalts können sich wichtige Hinweise für die Fallbearbeitung ergeben.
Wie immer im Leben zählt eben doch der „erste Eindruck“ sehr, sehr viel, so dass die aus dem unmittelbaren Rechtsgefühl geborenen ersten Gedanken nicht unterschätzt und später in der Eile vergessen werden sollten.
- Also immer das erste Konzept zur Hand haben und vor Niederschrift der Lösung nochmals kontrollieren.
- Hier geht es also um die „Intuition“, das berühmte „Bauchgefühl“.
- Eine spätere rechtliche Rückkontrolle der ersten Gedanken darf aber ebenfalls nicht vergessen werden, denn diese ersten Gedanken können sich auch als Trugschluss herausstellen und eben gerade nicht die Lösung enthalten.
Die Herausforderung 2 Unbelastete Lösungen sichern
Außerdem ist zu beachten: Beim ersten Lesen des Sachverhalts wäre es für den kreativen Prozess der Falllösung oftmals störend, sich z.B. sogleich auf die Suche nach der richtigen Rechtsvorschrift bzw. Lösungshinweisen in anderen Quellen wie etwa Rechtsprechungsurteilen zu „stürzen“.
Besser ist es da allemal, erste Gedanken zu einer möglichen Lösung rechtlich „unbelastet“ festzuhalten.
Die Herausforderung 3 „Bremsen-Lösen“ und Denkblockaden überwinden durch Erste-Gedanken-Mitschriften
Jeder Fallbearbeiter kennt den Moment, wo man mit dem Lösungsweg „feststeckt“ bzw. das eigentliche Ziel aus den Augen verloren hat.
Hier kann es weiterhelfen, wenn man sich in einem früheren Zeitpunkt beispielsweise auf dem Erste-Gedanken-Zettel einige erste Bewertungen, Ideen, wichtige Hinweise, etc. festgehalten hat.
Beispiel
Das Allererste was in der Fallstudie wohl auffallen muss ist das Alter des Schädigers, was den „Beschützerinstinkt“ in uns weckt Zudem geben die auf beiden Seiten vorhandenen Mitverschuldensbeiträge bereits eine erste Lösungsrichtung vor, so dass es wohl keine 100%ige Schadensersatzleistung an den Autofahrer geben darf, sondern eher eine Schadensteilung.
Die Tipps
Notieren Sie Ihre ersten unbefangenen Gedanken
- in einem Erste-Gedanken-Merkzettel
- oder schreibe Sie diese Gedanken gleich in die Sachferhaltsskizze rein!
Tipp 1: Nutzen Sie Ihre kreative Phase zu Beginn des Lesens!
- Was waren die ersten Eindrücke beim Lesen eines Falles?
- Was ist Ihnen besonders negativ aufgefallen – was besonders positiv?
- Was halten Sie für besonders wichtig für die Lösung?
- Welche Ungereimtheiten kamen Ihnen gleich „komisch“ vor?
- Woran erinnerte Sie der Sachverhalt?
- Wie Sie Ihre erste Lösung aus?
Tipp 2: Machen Sie eine Plausibilitätskontrolle!
- Ist die von Ihnen später gefundene Lösung ähnlich der ersten Gedanken beim Lesen des Sachverhalts gewesen?
- Warum ist man später von diesen ersten Gedanken bei der Fallbearbeitung abgewichen?
- War das spätere Abweichen von zunächst als gerecht empfundenen Ergebnissen plausibel?
Tipp 3: Vergessen Sie nicht die Praktikabilitätskontrolle!
- Welche praktischen Lösungsalternativen gibt es für den Rechtsstreit?
- Sind die gefundenen Ergebnisse in der Praxis umsetzbar?
Um betriebswirtschaftlich effizient auch in der Rechtsverfolgung zu arbeiten, werden in der Praxis eines Betriebes nur die Personen bzw. Haftungsbereiche weiterverfolgt, in denen am ehesten mit einem juristischen und betriebswirtschaftlichen Erfolg zu rechnen ist.
„Erfolgsfaktoren“ bei der Durchsetzung von Rechtsansprüchen sind z.B.:
- Liquidität des Anspruchsgegners
- Zeit, die für die Beitreibung zur Verfügung steht
- Kenntnis des Aufenthaltsortes des Anspruchsgegners
- Ort des zuständigen Gerichts in der Nähe
- etc.
Tipp 4: Stellen Sie eine Best-Case- und eine Worst-case-Betrachtung an!
- Was kann schlimmstenfalls und was bestenfalls das Ergebnis des Falles sein?
- Wie kann man sich auf die einzelnen Szenarien in der Praxis einstellen und z.B. Vorsichtsmaßnahmen mittels Versicherungen, Garantiezusagen der anderen Seite, etc. ergreifen?
Tipp 5: Stellen Sie die Wahrscheinlichkeits-Frage!
- Wie wahrscheinlich ist die eine oder andere Lösungsalternative?
- Gibt es Hinweise in der Rechtsprechung, dass Ihre Lösung bereits mal so akzeptiert wurde?
Tipp 6: Führen Sie eine Machbarkeitskontrolle durch!
- Welche betriebswirtschaftlichen Auswirkungen hätte die eine oder andere Lösungsalternative?
- Inwieweit wäre die eine oder andere Alternative betriebswirtschaftlich machbar?
Tipp 7: Nehmen Sie sich Zeit für den Aufbau Ihrer Argumente und entscheiden Sie sich für eine logische Reihenfolge, sog. Aufbaukontrolle, bevor Sie Ihre Ergebnisse verwerten bzw. niederschreiben!
- Wie kann der Leser, Zuhörer oder sonstige Empfänger am besten Ihren Argumenten folgen?
- Welcher Aufbau wird von den Juristen als logisch angesehen?
Beispiel: Zuerst Sachverhaltsangaben dafür, dass der Anspruch entstanden ist, dann Angaben dazu, dass er nicht untergegangen ist und dann auch durchsetzbar ist?
Ihre Aktion (Call to action)
Nun sind Sie dran!
Aufgabe: Welche ersten Gedanken würden bei dem Fall wichtig sein, wenn Sie sich überlegen:
- Was ist das, was Ihnen als erstes in den Sinn kommt, wenn Sie auf Ihr „Bauchgefühl“ achten?
- Welche Sachverhaltsangaben fallen Ihnen besonders auf?
- Welche ersten rechtlichen Wertungen würden Sie in der Fallskizze aufnehmen?
Der 15-jährige Fahrradfahrer Fritz (F) schneidet auf einer unübersichtlichen Landstraße die Kurve. Der entgegenkommende LKW-Fahrer Albert (A) der Spedition A-GmbH, der ebenfalls nicht allzu weit rechts fährt, wird zu einem Ausweichmanöver gezwungen und erleidet an seinem gerade neu gekauften LKW insgesamt 4.000 € Sachschaden einschließlich entgangenen Gewinns, da der LKW für 1 Woche nicht im Frachtgeschäft eingesetzt werden konnte. F unterschreibt spontan auf dem vom Angestellten A am Unfallort ausgehändigten Unfallbericht eine Erklärung er „erkenne die Schuld an“ und „seine Versicherung werde den Schaden sofort ausgleichen“. Als Zahlungsfrist vereinbart man „2 Wochen“. Später nimmt die Polizei den Unfallhergang auf. Nach Einholung von Rechtsrat weigert sich F in der Folgezeit, der A-GmbH den gesamten Schaden zu bezahlen.
Fragen:
- Was sagt das Recht zu diesem Fall?
- Kann die A-GmbH von F 4.000 Euro Schadensersatz wegen des Unfalls verlangen?
Machen Sie bitte eine kurze Pause von 10 Minuten und setzen Sie die gezeigten Dinge für sich selbst um – die Lösung gibt es dann gleich im Anschluss!
Lösungsansätze
Gedanke 1
In der Fallstudie mit dem Unfall auf der Landstraße und dem sofort danach unterschriebenen Schuldanerkenntnis spürt wohl jeder Fallbearbeiter ein Unbehagen, wenn er liest, dass da etwas am Unfallort unterschrieben worden ist
- unfaires Verhalten,
- das ist doch Schock ausnutzend,
- das ist Druck ausübend,
- betrügerisches Vorgehen.
Gedanke 2
Das nächste was in der Fallstudie wohl auffallen muss ist das Alter des Schädigers, was den „Beschützerinstinkt“ in uns weckt.
Zudem geben die auf beiden Seiten vorhandenen Mitverschuldensbeiträge bereits eine erste Lösungsrichtung vor, so dass es wohl keine 100%ige Schadensersatzleistung an den Autofahrer geben darf, sondern eher eine Schadensteilung.
Gedanke 3
In dem Fall wären z.B. die folgenden Anmerkungen in der Fallskizze hilfreich (siehe die Pfeile), um gleich eine juristische Wertung festzuhalten:
· LKW-Fahrer A | Unfallhergang | · Fahrrad-Fahrer F |
· fährt nicht ganz rechts
=> Wichtig: Das deutet auf Mitverschulden!! · wird zu einem Ausweichmanöver gezwungen · 4.000 € an Sachschaden, Verdienstausfall entgangener Gewinn |
· unübersichtliche Landstraße · Polizei nimmt Fall auf |
· schneidet Kurve
· steht im Wege · Unfallbericht mit Schuldeingeständnis unterschrieben => unfair, am Unfallort den Schock der anderen Seite auszunutzen |
=> gerecht wären allenfalls 50 % = 2.000 € |
· unübersichtliche Landstraße · Polizei nimmt Fall auf |
· ist 15 Jahre alt
=> Minderjährigenschutz! Verträge nur bei rechtlichem Vorteil! |
· A verlangt Schadensersatz | aber der | · F weigert sich |
Gedanke 4
In der Fallstudie macht es z.B. wenig Sinn, die für die Aufsicht der Landstraße örtlich zuständige Behörde wegen fehlender „Fahrradfahren verboten“-Schilder ebenfalls zu verklagen.
Der Blog ist am Entstehen und wartet auf meinen und Ihren Input. Falls Sie Anregungen zu den Inhalten haben, bitte gleich in den Kommentar reinschreiben! Alles wird beim Erstellen der Blogbeiträge berücksichtigt!
Bis bald, freue mich auf Sie!
Ihr Online-Professor Thorsten S. Richter
PS: Alle Inhalte wurden sorgfältig recherchiert und juristisch geprüft. Trotzdem kann es vorkommen, dass die Inhalte aufgrund der im konkreten Fall gegebenen Besonderheiten nicht passen. Um das auszuschließen bitte ich Sie, vor der Anwendung der hier erläuterten Inhalte diese zu überprüfen und bei Zweifeln u.a. unsere juristischen Partner zu kontaktieren.