Ausgangsfall und Frage
Hier nochmals der Ausgangsfall und die Frage: Wie findet man die wichtigsten Vorschriften?
Der 15-jährige Fahrradfahrer Fritz (F) schneidet auf einer unübersichtlichen Landstraße die Kurve.
Der entgegenkommende LKW-Fahrer Albert (A) der Spedition A-GmbH, der ebenfalls nicht allzu weit rechts fährt, wird zu einem Ausweichmanöver gezwungen und erleidet an seinem gerade neu gekauften LKW insgesamt 4.000 € Sachschaden einschließlich entgangenen Gewinns, da der LKW für 1 Woche nicht im Frachtgeschäft eingesetzt werden konnte.
F unterschreibt spontan auf dem vom Angestellten A am Unfallort ausgehändigten Unfallbericht eine Erklärung er „erkenne die Schuld an“ und „seine Versicherung werde den Schaden sofort ausgleichen“.
Als Zahlungsfrist vereinbart man „2 Wochen“. Später nimmt die Polizei den Unfallhergang auf. Nach Einholung von Rechtsrat weigert sich F in der Folgezeit, der A-GmbH den gesamten Schaden zu bezahlen.
Fragen
Was sagt das Recht zu diesem Fall?
Kann die A-GmbH von F 4.000 Euro Schadensersatz wegen des Unfalls verlangen?
Folgende Fragen können letztlich helfen, die im Fall angesprochene Fallproblematik einzugrenzen und den richtigen Einstieg in die Rechtslösung zu finden:
1. Schritt
Wie lautet das Anspruchsziel, ausgehend von der konkretisierten Fallfrage?
Das erste, was man bei der Suche nach richtigen Vorschriften machen sollte, ist nach dem Anspruchszielen der Streitpartei zu fragen, denn dieses sollte der Rechtsfolge der gesuchten Vorschrift entsprechen.
Das setzt die Kenntnis der wichtigsten Anspruchsziele für
- Vertragserfüllung,
- Rückabwicklung,
- Herausgabe und
- Schadensersatz
voraus.
2. Schritt Zeigt die Gliederung des Gesetzes wichtige Vorschriften?
Anhand der Gliederung einschlägiger Gesetze, z.B. des BGB, sich auf die Suche nach Anspruchsgrundlagen machen und dabei
- die Ausklammerungsmethode und
- die Verweisungstechnik
berücksichtigen.
Die sog. Ausklammerungsmethode – Was bedeutet es, dass manche Themen in den Gesetzen „ausgeklammert“ sind?
In der Fallstudie ist also z.B. bei der Frage, ob die Unfallbeteiligten USA-GmbH und F schuldhaft zu gehandelt haben, der Begriff des Verschuldens durch die Heranziehung des § 276 BGB zu klären. Insbesondere der Fahrlässigkeitsbegriff ist in Abs. 2 des § 276 BGB mit einer für das gesamte BGB geltenden Definition versehen – also auch für die in § 823 Abs. 1 BGB geregelte Anspruchsgrundlage. In der Fallstudie würde dieses zur Bejahung einer verschuldeten Pflichtverletzung führen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, warum der für die A-GmbH handelnde A und F jeweils beide nicht das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 2 StVO einhalten konnten. Beide haben daher eine Mitschuld i.S.d. § 254 Abs. 1 BGB am Tathergang und Schadenseintritt.
5.6 Die sog. Verweisungstechnik – Welche 2 Arten von Verweisungen gibt es u.a. im Gesetz?
Verweisungs-Art 1 Direkter Verweis
Eine „Verweisung“ kann ausdrücklich durch Nennung von zu lesenden Vorschriften erfolgen, z.B. in § 106 BGB, der für 7- bis noch nicht 18-Jährige auf die §§ 107 bis 113 BGB direkt verweist.
Abschreckendes (fast) nicht lesbares Beispiel einer direkten Verweisung siehe § 2013 BGB, der die Folgen der unbeschränkten Haftung des Erben umschreibt.
- 2013 BGB Folgen der unbeschränkten Haftung des Erben
(1) Haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten unbeschränkt, so finden die Vorschriften der §§ 1973 bis 1975, 1977 bis 1980, 1989 bis 1992 keine Anwendung; der Erbe ist nicht berechtigt, die Anordnung einer Nachlassverwaltung zu beantragen. Auf eine nach § 1973 oder nach § 1974 eingetretene Beschränkung der Haftung kann sich der Erbe jedoch berufen, wenn später der Fall des § 1994 Abs. 1 Satz 2 oder des § 2005 Abs. 1 eintritt.
Verweisungs-Art 2 Indirekter Verweis
Verbreitet sind aber noch mehr die indirekten Verweise, durch Verwendung eines Rechtsbegriffs, wie z.B. das Wort „Schriftform“ in § 623 BGB, in das der § 126 BGB quasi „hineingelesen“ werden muss, da es dort definiert ist.
- 623 BGB Schriftform der Kündigung
Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer
Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.
- 126 Abs. 1 BGB Schriftform
(1) Ist durch Gesetz schriftliche Form vorgeschrieben, so muss die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden.
Weitere Beispiele indirekter Verweisungen ● „Kündigungsfristen“ im § 622 BGB werden im Abschnitt 4 „Fristen, Termine“ des 1. Buches Allgemeiner Teil des BGB näher definiert.
Diese Methode setzt Gesetzeskenntnis voraus, kann aber dadurch leicht erlernt werden, dass man möglichst viele Vorschriften liest und sich damit ihren ungefähren Inhalt einprägt. In gedruckten Gesetzestexten werden auch gerne die entsprechenden Verweisungsvorschriften an die entsprechenden Rechtsbegriffe geschrieben, z.B. der § 126 BGB an § 623 BGB, was aber evtl. in Prüfungen zur Nichtverwendbarkeit des Gesetzbuches führen kann (Prüfungsmodalitäten Vorort abklären).
Im Wirtschaftsrecht sollte man im Hinblick auf die Klärung von Fragen der Geschäftsfähigkeit das Zusammenwirken der §§ 1 bis 113 BGB zu kennen:
Beispiel einer Verweisungskette bei der Klärung,
ob Geschäftsfähigkeit vorliegt |
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§ 106 BGB | ||||||||||||
regelt die beschränkte Geschäftsfähigkeit Minderjähriger und verweist damit indirekt auf… | ||||||||||||
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… § 2 BGB, | ||||||||||||
da hier der Begriff „Minderjährigkeit“ definiert wird. | ||||||||||||
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außerdem beschränkt § 106 BGB | ||||||||||||
die Geschäftsfähigkeit „nach Maßgabe der …“ | ||||||||||||
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… §§ 107 bis 113 BGB | ||||||||||||
und verweist damit direkt auf die in diesen Vorschriften geregelten Einzelfälle der Altersgruppe 7 noch nicht 18 Jahre |
Verweisungstechnik am Beispiel „Ordnungsgemäße Klageerhebung vor dem Arbeitsgericht“
In der vorliegenden Fallstudie kann man die direkten und indirekten Verweisungsmethoden sehr schön bei der Prüfung der Geschäftsfähigkeit des Fahrradfahrers F nachvollziehen:
Verweisungs-Art 1 Direkter Verweis § 106 BGB -> §§107 bis 113 BGB
Verweisungs-Art 2 Indirekter Verweis § 106 BGB -> im Wort „Minderjähriger“ i.S.d. § 2 BGB
3. Schritt Welche im vorhergehenden Schritt gefundenen Begriffe sind im Gesetz direkt geregelt?
Durch den Fall-Einstieg über Begriffe können z.B. auch über das Stichwortverzeichnis leicht die passenden Vorschriften gefunden werden.
Auf der Suche nach Schadensersatzvorschriften sollten als wichtigste Grundlage für deutsche wirtschaftsprivatrechtliche Fälle das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und seine Untergliederung bekannt sein.
Allein schon durch die Kenntnis der Gliederung eines Gesetzes kann man wertvolle Hinweise auf der Suche nach den richtigen Vorschriften bekommen.
Gliederung des BGB | |||||||||||||||||||
1. Buch:
Allgemeiner Teil |
2. Buch:
Schuldrecht |
3. Buch:
Sachenrecht |
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§§ 1 – 240 BGB, grundlegende Be-stimmungen, die für alle anderen Bücher des BGB gelten, z.B. Rechts-, Geschäfts- und Deliktsfähigkeit | §§ 241 – 853 BGB, mit Vorschriften zu Schuldverhältnissen, z.B. Kaufvertrag | §§ 854 – 1296 BGB, ordnet die Beziehung einer Person zu einer Sache, z.B. das Eigentum | |||||||||||||||||
4. Buch:
Familienrecht |
5. Buch:
Erbrecht |
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§§ 1297 – 1921 BGB, enthält Normen über die familiären Beziehungen, z.B. Ehe, Verwandtschaft | §§ 1922 – 2385 BGB, regelt die vermögensrechtlichen Folgen des Todes eines Menschen, z.B. Erbfolge, Testament, Erbvertrag | ||||||||||||||||||
- 1 Bücher, Vorschriften und Inhalte des BGB
Wendet man sich in der Fallstudie im „Ausschlussverfahren“ den einzelnen Büchern des BGB zu, so kann man das Sachen-, Familien- und Erbrechtsbuch von vornherein bei der Vorschriftensuche beiseitelassen. Das Sachenrecht regelt in seinen §§ 854 – 1296 BGB die Beziehungen einer Person zu einer Sache, z.B. in der Form des Eigentums. Ebenso wenig enthält das Familienrecht grundsätzlich in seinen §§ 1297 – 1921 BGB Vorschriften zu einem Verkehrsunfall, sondern vorrangig Normen über die familiären Beziehungen, z.B. Ehe, Verwandtschaft enthält. Letztlich ist auch das 5. Buch mit seinen erbrechtlichen Vorschriften grundsätzlich bei einem unfallbedingten Schadensersatz nicht relevant.
Es geht aber beim Unfallbericht um die Wirksamkeit eines schuldrechtlichen Schuldanerkenntnisses i.S.d. § 781 S. 1 BGB zwischen Geschädigter A-GmbH und Fahrradfahrer F, so dass „in der Regel“ die Vorschriften des Allgemeinen Teils und des Schuldrechts im BGB zwischen § 1 BGB und § 853 BGB einschlägig sein sollten.
4. Schritt Wann liegt eine Anspruchsgrundlage und wann Hilfsnormen oder Spezialvorschriften vor?
Zuerst ist mit den
- Anspruchsgrundlagen zu beginnen, dann sind die
- ergänzenden Hilfsnormen und
- Spezialvorschriften zu konsultieren.
Arten von Vorschriften | |||||||||
Anspruchsgrundlagen | Hilfsnormen | Spezialvorschriften | |||||||
Grund-Art 1 Anspruchsgrundlagen
Anspruchsgrundlagen sind solche Vorschriften, die das Ziel des Anspruchsstellers durch entsprechende Formulierungen im Gesetzestext erfüllen, z.B. das Begehren eines gekündigten Arbeitnehmers auf Weiterzahlung von Arbeitslohn nach § 611 Abs. 1 BGB aus weiter bestehendem Arbeitsvertrag stützen.
Von der konkretisierten Fallfrage ausgehend kann man z.B. Anspruchsgrundlagen nach den häufigsten Zielen bzw. Anspruchsinhalten des Anspruchsstellers suchen. Das BGB enthält für folgende Ziele des Anspruchsstellers z.B. folgende Vorschriften: Ansprüche auf …
- Vertragserfüllung, finden sich z.B. in Form von Kaufpreiszahlungsansprüchen nach § 433 Abs. 2 BGB, oder in §§ 535 Abs. 1 S. 1, 631 Abs. 1 BGB
- Herausgabe, finden sich z.B. nach Rücktritt, § 346 BGB, Beendigung eines Mietvertrages, § 546 BGB, Ablauf eines Leihverhältnisses, § 604 BGB, nach Besitzentziehung, §§ 861 BGB und 1007 Abs. 1 BGB, nach ungerechtfertigter Bereicherung, § 812 BGB, aufgrund Eigentums, § 985 BGB, etc.
- Schadensersatz, können z.B. aus Verletzung vertraglicher Pflichten nach § 280 BGB, oder Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, Irrtumsanfechtung, § 122 BGB, Mängelhaftung, § 437 Nr. 3 BGB, unerlaubter Handlung nach § 823 BGB, oder Gefährdungshaftungstatbeständen wie in § 7 Abs. 1 StVG, gegeben sei,
- sonstigen Gestaltungs- oder Selbsthilferechte, z.B. Auskehr des Erlöses wegen Verstoßes gegen ein Wettbewerbsverbot, § 61 HGB, Anfechtungsrechte, §§ 142 Abs. 1 i.V.m. 119, 120, 123 BGB, Rücktrittsrechte, §§ 346 Abs. 1 i.V.m. z.B. 323, §§ 234 i.V.m. 241 Abs. 2, § 326 BGB, Kündigungsrechte, §§ 314, 543, 569, 573, 611, 626 BGB, Besitzwehr, §§ 859 Abs. 1 BGB, und Besitzkehr, § 859 Abs. 2 BGB, Notwehr, §§ 227 BGB, und Selbsthilfe, § 229 BGB, aggressiver , § 904 BGB, und defensiver Notstand, § 228 BGB
Diese zentralen Vorschriften werden als Anspruchsgrundlagen bezeichnet und sind sozusagen „Eckpfeiler“ im Zivilrecht (etwas blumig formuliert: „Eingangstüren in den juristischen Garten“, an denen jeder auf der Suche nach der Lösung „vorbeigehen“ muss).
Keine Anspruchsgrundlagen sind Vorschriften, die ● den Begriff „Anspruch“ definieren, z.B. § 194 Abs. 1 BGB (Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen) ● nur Voraussetzungen definieren z.B. für einen Vertragsschluss, z.B. § 145 BGB (Angebot und Annahme) ● nur Regelungen hinsichtlich der Rechtsfolgen enthalten, z.B. §§ 249 ff. BGB (Schadensersatzregelungen)
In der Fallstudie sind als Anspruchsgrundlagen für das Ziel der A-GmbH, Schadensersatz zu bekommen vorrangig der § 781 S. 1 BGB und der § 823 Abs. 1 BGB heranzuziehen. Die anderen möglichen Anspruchsgrundlagen (vgl. oben) können aus Platzgründen hier nicht erläutert werden.
Zusätzlich zur Anspruchsgrundlage sind weitere ergänzende Vorschriften zu finden, die für die Bestimmung der einzelnen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlagen von Bedeutung sind. Sie „helfen“ faktisch mit, den Anspruch zu untermauern und eine Subsumtion des Sachverhalts durchzuführen.
- Definitionen, z.B. der Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 2 BGB, der sozialen Rechtfertigung, § 1 Abs. 2 S.1 KSchG, des Direktionsrechts, § 106 GewO, des Abmahnungserfordernisses, § 314 Abs. 2 BGB
- Beteiligte, z.B. des Betriebsrats bei Kündigungen, § 102 BetrVG, werden in solchen Hilfsnormen mit „ins Spiel gebracht“
- Fristen, z.B. Fristberechnungsvorschriften, §§ 187 ff. BGB, arbeitsrechtliche Kündigungsfristen, § 622 BGB, sind in solchen Hilfsnormen zahlreich zu finden
- Formvorschriften, z.B. der arbeitsrechtlichen Kündigung, §§ 623 i.V.m. 126 BGB
- Verweisungen, z.B. auf andere Vorschriften, z.B. § 106 BGB, der für die Altersgruppe 7 noch nicht 18 Jahre auf weitere Hilfsnormen verweist: §§ 107 bis 113 BGB verweist
Grund-Art 3 Sonstige Vorschriften
Zum Teil können für die Fallbearbeitung auch sehr abgelegene Vorschriften eine Rolle dafür spielen, rechtliche Aussagen zu begründen.
- Vorschriften zur Anwendbarkeit eines Gesetzes, z.B. des Handelsgesetzbuches, das nur für Kaufleute gilt, §§ 1 ff. HGB
- Prozessuale Vorschriften, z.B. im Hinblick auf den Aufbau der Gerichte, z.B. Amtsgerichte §§ 22 GVG, sachliche Zuständigkeit der Gerichte, §§ 1 ff. ZPO, Gerichtsstände § 12 ff. ZPO, Parteifähigkeit und Prozessfähigkeit, §§ 50 ff. ZPO, Prozesskosten, §§ 91 ff. ZPO, Verfahrensfragen, §§ 128 ff. ZPO,
- Ordnungswidrigkeiten, z.B. wenn Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO) vorliegen, § 49 StVO
- Strafvorschriften, z.B. wenn Verstöße gegen das Wirtschaftsrecht strafbewehrt sind, z.B. Wucher § 291 StGB
In der Fallstudie geht es um durch das Schneiden der Kurve durch den Schädiger und das nicht ganz rechts Fahren des Geschädigten um Fragen der Straßenbenutzung durch Fahrzeuge. Damit sind Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung einschlägig, wie z.B. § 2 Abs. 2 StVO, sog. Rechtsfahrgebot. Letztlich hilft diese Spezial-Vorschrift um z.B. die Schuldfrage innerhalb der unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB klären zu können.
5. Schritt Hat man alle einschlägigen Vorschriften sorgfältig gelesen?
Häufiges Lesen von Vorschriften schult die Intuition, welche Vorschrift passen könnte, so dass man immer am Gesetz arbeiten sollte,
- in Buchform, z.B. Aktuelle Wirtschaftsgesetze, aus der Reihe: “Vahlen Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften”
- oder online unter rechtliches.de bzw. www.bundesrecht.juris.de.
In welche 3 Teile sind insbesondere Anspruchsgrundlagen regelmäßig aufzuteilen?
Grundaufbau von Anspruchsgrundlagen | |||||||||
1. Teil: Überschrift (nicht immer gegeben) | 2. Teil: Tatbestand | 3. Teil: Rechtsfolgen | |||||||
§ 823 BGB
Schadensersatzpflicht |
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit… oder ein
sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt,.. |
… ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden
Schadens verpflichtet. |
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- 2 Beispiel für Grundbestandteile von Anspruchsgrundlagen
In der vorliegenden Fallstudie kann man sehr genau den 3-teiligen Aufbau von Anspruchsgrundlagen am Tatbestand der unerlaubten Handlung nach § 823 Abs. 1 BGB zeigen. Weiteres Beispiel ist der häufig bei Kaufvertragsansprüchen zu prüfende § 433 BGB, hier z.B. mit den Pflichten für den Verkäufer aus Abs. 1:
- Teil 1 Überschrift Beispiel § 823 Abs. 1 BGB: Schadensersatzpflicht, Beispiel § 433 Abs. 1 BGB: Vertragstypische Pflichten beim Kaufvertrag
- Teil 2 Tatbestand Beispiel § 823 Abs. 1 BGB (1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit… oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, … Beispiel § 433 Abs. 1 BGB: (1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet,
- Teil 3 Rechtsfolgen Beispiel § 823 Abs. 1 BGB: … ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Beispiel § 433 Abs. 1 BGB: dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen.
6. Schritt Hat man einen Vorschriften-Katalog zusammengestellt?
Die gesamten Anspruchsgrundlagen, Hilfsnormen und sonstige Vorschriften vollständig zusammenstellen und nicht vergessen, dass ein und derselbe Lebenssachverhalt mehrere Anspruchsgrundlagen verwirklichen kann.
Ihr Aufgabe (Call to Action)
Gehen Sie die oben gezeigten Schritte durch und zeigen Sie auf jeder Ebene, welche Vorschriften Sie gefunden haben!
Lösungsansätze
1. Schritt Finden des Anspruchsziels
Im Fall geht es um Schadensersatzanspruch zwischen privat handelnden Personen, so dass es sich um das BGB als zentrale Vorschriftensammlung handelt.
2. Schritt Gliederung des Gesetzes
Nach dem internen Aufbau des BGB vor allem der allgemeine Teil, §§ 1 bis 240 BGB, und der Schuldrechtsteil, § 241 bis 853 BGB, näher zu untersuchen.
3. Schritt Begriffe sind im Gesetz
Wie durch die Sachverhaltserfassung und Begriffszusammenstellung gezeigt hat, sind 2 haftungsrelevante Handlungen gegeben: Unfallbericht und unerlaubte Handlung.
4. Schritt Anspruchsgrundlagen
Aus dem Unfallbericht samt Schuldanerkenntnis können zunächst privat-rechtliche vertragliche Erfüllungsansprüche aus der Anspruchsgrundlage § 781 S. 1 BGB einschlägig sein.
Aufgrund der Unfallsituation kommen noch gesetzliche Schadensersatzansprüche nach §§ 823 ff. BGB zur Prüfung dazu. Öffentlich-rechtliche Vorschriften, die sich mit der Verletzung von Straßenverkehrsgeboten wie z.B. dem Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO beschäftigen, sind aufgrund des Fehlens von Angaben im Sachverhalt zunächst nicht als gesonderte Anspruchsgrundlage zu prüfen. Sie können aber als Hilfsnormen z.B. im Rahmen der Bestimmung des Verschuldens bzw. der Fahrlässigkeit im Rahmen des § 276 Abs. 2 BGB und der Mitverschuldensanteile nach § 254 Abs. 1 BGB eine Rolle spielen.
5. Schritt einschlägigen Vorschriften sorgfältig lesen
Bei der vertieften Lektüre der Anspruchsgrundlagen fallen
- bei § 781 S. 1 BGB der Begriff „Vertrag“ auf, der als „Rechtsgeschäfts“ in der Titelüberschrift über Abschnitt 3 des BGB, §§ 104 ff. BGB, indirekt verweist, sowie der Begriff „Schriftform“, der in § 126 BGB weiter definiert wird.
- bei § 823 Abs. 1 BGB die Begriffe „vorsätzlich oder fahrlässig“ auf, die in § 276 Abs. 2 BGB im Hinblick auf die Fahrlässigkeit weiter definiert wird und sodann unter Zuhilfenahme der StVO, 2 Abs. 2 StVO, weiter nachgelesen werden muss. Darüber hinaus ist § 254 Abs. 1 BGB zu lesen, da es in der Fallstudie auch Mitverschuldensbeiträge gibt.
6. Schritt Vorschriften-Katalog
Abschließend kann man als wichtigste Vorschriften beim vertraglichen Erfüllungsanspruch aus dem Unfallbericht folgende Fundstellen zusammenstellen: § 781 S. 1 BGB, § 104 ff. BGB, § 126 BGB. Bei dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB: §§ 276 Abs. 2 BGB, § 2 Abs. 2 StVO, § 254 Abs. 1 BGB.
Zu beachten ist, dass auch noch weitere Anspruchsgrundlagen im vorliegenden Fall (im Wege der Anspruchskonkurrenz) angeprüft werden könnten:
- 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz, z.B. § 2 Abs. 2 StVO wegen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot durch F.
- 829 BGB, sog. Billigkeitshaftung, falls eine Haftung nach den §§ 823 bis 826 wegen §§ 827 828 BGB nicht gegeben sein sollte.
- § 677, 683 S. 1, 670 BGB, wonach die A-GmbH gegenüber dem Fahrradfahrer F einen Schadensersatzanspruch wegen berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag hätte, weil der A im Namen der A-GmbH den LKW „aufgeopfert“ hat, sog. Selbstaufopferung im Straßenverkehr. Dieses erscheint aber bei der mehr oder weniger aus Reflex (also nicht willensgetragen) durch den Fahrer F durchgeführten Ausweichmanövers als sehr zweifelhaft. Da der A aber auch im eigenen Sinne handelt, ist die Fremdbesorgung sehr fraglich, Rechtsproblem des sog. „auch-fremden“ Geschäfts.
- Gleiches gilt für den Schadensersatzanspruch gegen die Eltern des Minderjährigen F aus berechtigter Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677, 683 S. 2, 670 BGB.
Schadensersatzanspruch gegen die Eltern des F wegen Aufsichtspflichtverletzung, § 832 Abs. 1 BGB. Zweifelhaft wird es bei lebensnaher Betrachtung aber sein, ob den Eltern daraus ein Vorwurf zu machen ist, dass sie ihren minderjährigen Sohn zum Unfallzeitpunkt allein ohne ihre Aufsicht im öffentlichen Straßenverkehr haben Fahrrad fahren lassen. Demnach ist ohne weitere Anhaltspunkte eine Aufsichtspflichtverletzung nicht darstellbar.
Eine Bitte zum Schluss
Haben Sie auch Ihre eigenen Lösungen verglichen? Der Blog ist am Entstehen und wartet auf meinen und Ihren Input. Falls Sie Anregungen zu den Inhalten haben, bitte gleich in den Kommentar reinschreiben! Alles wird beim Erstellen der Blogbeiträge berücksichtigt!
Bis bald, freue mich auf Sie!
Ihr Online-Professor Thorsten S. Richter
PS: Alle Inhalte wurden sorgfältig recherchiert und juristisch geprüft. Trotzdem kann es vorkommen, dass die Inhalte aufgrund der im konkreten Fall gegebenen Besonderheiten nicht passen. Um das auszuschließen bitte ich Sie, vor der Anwendung der hier erläuterten Inhalte diese zu überprüfen und bei Zweifeln u.a. unsere juristischen Partner zu kontaktieren.